Gedenkveranstaltung in Fünfeichen anlässlich 75. Jahre Lagerschließung am 23.09.2023

Die DOK erhielt am 27.6.2023 über Frau Bülow von der Stadtverwaltung eine Einladung des Oberbürgermeisters von Neubrandenburg, Silvio Witt. Dieter Boedeker hat teilgenommen und vor Ort Frau Bülow für die Einladung gedankt.

Die Gäste versammeln sich an der Gedenkstätte (Foto: D. Boedeker ©)

Kurzer historischer Abriss
In Fünfeichen bei Neubrandenburg existierten von 1939 bis 1948 auf dem Gelände des ehemaligen landwirtschaftlichen Gutes fünf verschiedene Lager.
Während des Zweiten Weltkrieges betrieb die deutsche Wehrmacht dort insgesamt drei Kriegsgefangenenlager für Gefangene aus elf Staaten (Stalag II A sowie die Offizierslager Oflag II E und Oflag 67). Bis zum Kriegsende wurden rund 120.000 Menschen aus elf Ländern gefangen gehalten und mussten Zwangsarbeit leisten – mehr als 6.000 von ihnen starben, darunter etwa 5.200 Rotarmisten. Im Sommer 1945 befand sich in Fünfeichen ein Repatriierungslager, in dem ehemalige Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge auf die Rückkehr in ihre Heimatländer warteten. Von 1945 bis 1948 war Fünfeichen Standort eines Speziallagers des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, durch welches etwa 15.000 mutmaßliche Kriegsverbrecher gingen, unter ihnen zahlreiche Unschuldige. Bis 1948 starben in diesem „Speziallager Nr. 9“ weitere 15.000 Menschen. Es wurde vor 75 Jahren geschlossen.

Programm
– Grußwort: Silvio Witt, Oberbürgermeister der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg,
Gedenkrede: Joachim Gauck, Bundespräsident a. D.
– Erlebnisberichte von Gefangenen: Lesung durch Schülerinnen und Schülern des Albert-Einstein-Gymnasiums
– Gemeinsame Kranzniederlegung von Schülerinnen und Schülern sowie Soldatinnen und Soldaten
– Die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen lud im Anschluss zur Andacht mit Kranzniederlegung am Friedhof des NKWD-Speziallagers sowie zum
– Benefizkonzert des Heeresmusikkorps Neubrandenburg in die Konzertkirche Neubrandenburg ein (keine Teilnahme DB).

OB Witt sagte in seinem Grußwort, dass Fünfeichen exemplarisch für Unrecht, Unmenschlichkeit, Brutalität, Leid und Willkür stand. „Es ist ein Segen, dass wir heute nicht nur frei und offen leben können, sondern auch offen über das Unsagbare diskutieren können, das bis 1948 an diesem Ort, hier in Fünfeichen passiert ist.“ Er kritisierte das oftmals nostalgische und verzerrte Bild der DDR in den Köpfen vieler Menschen und die Rolle der DDR, die eine Gedenkarbeit lange verhinderte. „Menschen meiner Generation fragen sich oft, wie es nach Auflösung des Lagers dazu kommen konnte, dass Fünfeichen zu einem Schweigelager wurde.“

Altbundespräsident Gauck am Rednerpult vor rund 400 Gästen (Foto OZ ©)

Joachim Gauck hat in seiner Rede darauf hingewiesen, dass die Wehrmacht gefangene Soldaten und Offiziere der West-Alliierten weitestgehend entsprechend der Genfer Konventionen zum Umgang mit Kriegsgefangenen behandelt hat. Die Gefangenen der Sowjetarmee dagegen seien, wie in NS-Propaganda gefordert, als „Untermenschen“ behandelt und in Hunger, Krankheit und schließlich den Tod getrieben worden. Er spannte auch den Bogen zu der Zeit nach dem Krieg als im Speziallager durch die Sowjets ebenfalls Tyrannei und Morden an der Tagesordnung waren. “Sie alle erlebten die Beugung des Rechts durch das Recht des Stärkeren“. Für beide verbrecherischen Geschehnisse habe in der DDR der amtlich verordnete Heldenmythos der Sowjetunion keinen Raum für Empathie mit den Getöteten gelassen und im Westen seien diese Verbrechen im Gegensatz zum Holocaust auch nicht aufgearbeitet worden. Somit habe das Schicksal beider Gruppen lange „im Erinnerungsschatten“ in beiden Teilen Deutschlands gelegen.
Er sagte auch, “dass wir Zeugen gegenwärtiger Arroganz und Brutalität sind, mit denen ein neuer Moskauer Imperialismus Menschen um Recht und Freiheit bringen will“.
Gauck lobte ausdrücklich die Bemühungen der Opferorganisation Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen und der Stadt Neubrandenburg, die die Ereignisse dieser Zeit seit Längerem aufarbeiten.
Auf dem Weg zur Gedenkstätte protestierten einige Wenige friedlich gegen Gauck, indem sie auf zwei Transparenten Joachim Gauck als „Kriegsprediger“ bezeichneten und Friedenstaubenfahnen schwangen.
Anschließend lasen Schülerinnen und Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums aus Zeitzeugenberichten, sowohl von Kriegsgefangenen als auch von Insassen des Speziallagers.

Schülerinnen und Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums lesen aus Zeitzeugenberichten (Foto: D. Boedeker ©)
Schülerinnen und Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums lesen aus Zeitzeugenberichten (Foto: D. Boedeker ©)
Die Gedenkveranstaltung endet an den Gräbern der im Speziallager Gestorbenen (Foto: D. Boedeker ©)
Die Gedenkveranstaltung endet an den Gräbern der im Speziallager Gestorbenen (Foto: D. Boedeker ©)

Medienecho:
https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Bundespraesident-aD-besuchte-Gedenkstaette-Fuenfeichen,fuenfeichen136.html
https://www.nordkurier.de/regional/neubrandenburg/joachim-gauck-erinnert-an-schreckens-lager-fuenfeichen-1924629

Besuch von Debra und Don O’Connell in der DOK am 31.07.2023

Heute besuchten Debra O’Connell und ihr Ehemann Don aus Seattle (Waschington, USA) die DOK. Der Vater von Debra, Owen Lee Koontz, war von Anfang 1944 bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 Kriegsgefangener im Barther Stalag Luft I. Lt. Koontz war im 2. Weltkrieg Pilot eines in Nordafrika stationierten B-26 Bombers der USAAF. Er wurde dreimal abgeschossen und geriet beim dritten Abschuss in Italien in deutsche Kriegsgefangenschaft. Da er verwundet war, kam er zunächst in ein Lazarett in Italien und schließlich von dort ins Stalag Luft I.  

Nach einer Führung durch die Ausstellung, begaben sich die Eheleute mit Dieter Boedeker von der DOK zum Gedenkstein auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers. Im Anschluss statteten sie auch dem Mahnmal für das Konzentrationslager in Barth Süd einen Besuch ab.  

Zurück in der DOK übergab Debra der DOK das originale „Tagebuch“1 von Owen mit Gedichten, Zeichnungen und Karikaturen aus seiner Zeit in Stalag Luft I. Dieses enthält auch eine Liste von 167 Büchern (mit Titel und Autorennamen), die er während seiner Gefangenschaft aus der Lagerbibliothek entliehen, gelesen und auch bewertet hatte (AA = superior, A = excellent, B = good, C = fair, D = poor). Dies ist von hohem historischem Interesse, denn bis jetzt war nicht bekannt, welche Buchtitel in der Bibliothek des Lagers vorhanden waren.  

Bevor uns Debra sein Tagebuch übergeben hat, hatte die DOK keine weiteren Informationen über Owen außer, dass er gemäß der Merkki-POW Liste im „South Compound“ einsaß. Eventuell stimmt das aber nicht, denn in seinem Tagebuch ist handschriftlich mit Bleistift vermerkt North 2, barracks 5, room 3. Was davon stimmt, bleibt erstmal ungeklärt.  

Owen starb am 20.05.2010 89 jährig. 

Übergabe des Kriegstagebuchs von Owen an die DOK
Owen Lee Koontz
Besuch von Deb und Don O’Connell auf dem ehemaligen Gelände des Stalag Luft I

Auf den Spuren des Vaters…

Vom 9. bis 10.1. erhielt die Dokumentations- und Begegnungsstätte (DOK) Besuch von Herrn Eddy Smythe aus England. Sein Vater, John Smythe, war von Ende 1943 bis zur Befreiung im Mai 1945 Kriegsgefangener der Luftwaffe im Stalag Luft 1, einem Stammlager für alliierte Kriegsgefangene in Deutschland und den seinerzeit von Deutschland besetzten Ländern, in dem vorwiegend Offiziere untergebracht waren. Wie viele Nachfahren von ehemaligen Kriegsgefangenen war er daran interessiert, die Örtlichkeiten kennen zu lernen, in denen sein Vater eineinhalb Jahre gefangen gehalten wurde.

Leutnant John Smythe, Träger des Ordens “Order of the British Empire”, stammte ursprünglich aus Sierra Leone in Westafrika. Er war einer der ersten schwarzen Offiziere in der Royal Air Force und Navigator in einem Stirling Bomber. Nachdem er auf dem Rückweg von einem Angriff auf Berlin von deutscher Flak und Jagdflugzeugen am 18. November 1943 angegriffen worden war, musste er aussteigen und gelangte so als Kriegsgefangener ins Stalag Luft 1.

Mitglieder der DOK zeigten Eddy Smythe die Gedenkstätte Stalag Luft 1 am Fuchsberg und führten ihn durch ihre Ausstellungsräume im Bürgerhaus. Ein weiteres Ziel war nach einem Besuch des KZ-Mahnmals das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers im Barther Fliegerhorst und der dortige Gedenkpfad. Dies war ein höchst emotionaler Moment, denn Recherchen von Helga Radau, der Ehrenvorsitzenden der DOK, hatten zweifelsfrei ergeben, dass John Smythy einer von vier alliierten Kriegsgefangenen war, die nach ihrer Befreiung angeführt von einem Arzt als erste ins KZ-Gelände kamen, um medizinische Hilfe zu leisten. Was sie dort an menschlichem Leid zu sehen bekamen, muss unbeschreiblich gewesen sein.

Eddy Smythe zu Besuch in der DOK Barth

Sohn Eddy sagte, dass sein Vater lange gar nichts von seiner Zeit als Kriegsgefangener erzählt hätte, nur, dass er trotz seiner Hautfarbe nicht anders behandelt worden sei als die anderen. Erst kurz vor seinem Tod 1996 gelang es seinem Sohn ausführlichere Informationen zu erhalten. Mit diesen erschütternden, für ihn völlig unerwarteten Eindrücken wird Eddy Smythe nun zu Hause selbst weiter recherchieren und die Mitglieder der DOK werden ihn dabei tatkräftig unterstützen. Im Sommer möchte er gerne mit seiner Familie wieder kommen. 

Dieter Boedeker

Nachruf auf Ignacy Golik

Wir trauern um Ignacy Golik, der am 31. August 2022 in seiner Heimatstadt Warschau im Alter von 100 Jahren verstarb. Leider erfuhren wir erst kurz vor Weihnachten von seinem Tod.

Ignacy Golik, ehemaliger Barther KZ-Häftling, kam am 19. Januar 1922 in Warschau zur Welt. Bereits als Schüler engagierte er sich nach dem deutschen Überfall auf Polen und der Besetzung Warschaus im polnischen Widerstand. Dort wurde er von den Deutschen im September 1939 zum ersten Mal verhaftet, konnte aber entkommen. Im Januar 1941 geriet er erneut in deutsche Gefangenschaft. Vom 01. Februar 1941 bis zum 28. Oktober 1944 war er Häftling in KZ Auschwitz, von Oktober bis November Häftling im KZ Sachsenhausen. Vom 11. November 1944 bis zum 29. April 1945 musste er als Häftling des KZ Barth in den Heinkel Flugzeugwerken Sklavenarbeit verrichten. Am 30. April 1945 trieb ihn die SS zusammen mit anderen KZ-Häftlingen auf einen „Todesmarsch“. Diese Tortur erschöpfte ihn total und er war dem Verhungern nahe, bevor ihn schließlich sowjetische Soldaten bei Rostock befreiten.

Später kehrte Ignacy Golik nach Warschau zurück, studierte Journalistik und arbeitete bis 1998 als Journalist bei verschiedenen Warschauer Zeitungen.  1964 war er Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess und half bei der Identifizierung von SS-Offizieren, die in Auschwitz eingesetzt waren.

Die Stadt Barth besuchte er mehrfach und berichtete als Zeitzeuge vor Schulklassen und anderen Gruppen über seine schrecklichen Erlebnisse. Alle Zuhörer waren von seinen detaillierten Schilderungen tief betroffen, aber auch sein ausgeprägter Sinn für Humor beeindruckte alle, die ihn kannten.

Oft wurde er gefragt, ob er die Deutschen hasse, worauf er antwortete, dass er zwar einzelne Menschen hassen könne, aber kein ganzes Volk. Viele seiner Mitgefangenen seien ja Deutsche gewesen.

Für sein unermüdliches Engagement gegen das Vergessen und für die Versöhnung erhielt er anlässlich seines 100sten Geburtstages, den er mit seiner Frau Eva, feierte, das Bundesverdienstkreuz.

Mit Ignacy Golik haben wir vermutlich den letzten Zeitzeugen verloren, der uns als Opfer des wohl schlimmsten Terrorstaates, den die Welt je erlebt hat, seine persönlichen Erfahrungen mitteilen konnte.

Kurzbericht Reichspogromnacht

Am 9. November gedachten Barther Bürgerinnen und Bürger der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland, die in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen vorläufigen Höhepunkt erfuhr. Waren beim morgendlichen Gedenken auf dem Barther Friedhof nur wenige dabei, war anschließend der große Saal im Bürgerhaus mit gut 200 Personen in Barth voll belegt. Viele Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen aus dem Barther Schulzentrum waren gekommen, um an einer Veranstaltung teilzunehmen, die die Klassen gemeinsam mit dem Förderverein Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e.V. vorbereitet hatten. In kurzen, sehr bewegenden Beiträgen verlasen Schülerinnen und Schüler Schicksale von Barther Juden während der Nazizeit, umrahmt von einer sehr anschaulichen Lichtbildpräsentation. Angesprochen wurden die Leiden der Familie Böhm, der Familie Sommerfeld, der Familie Brenner, der Familie Stern und der Familie Josephi. Sehr einfühlsam und passend war die musikalische Untermalung der Harfenistin Christine Hübner und des Pianisten Karsten Wolf. Unser besonderer Dank gilt Frau Küch und Herrn Pröschold sowie den Schülerinnen und Schülern, die an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung beteiligt waren.

Bericht: Dieter Boedeker

Die DOK im neuen Haus

Nach zweijähriger Corona bedingter Zwangspause konnte am 1. November 2022 endlich wieder eine Mitgliederversammlung des Fördervereins Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e.V. (DOK) in den Räumen des Bürgerhauses stattfinden.

Hier befindet sich in der 2. Etage inzwischen auch die sehr eindrucksvolle Ausstellung des Vereins, die die Geschichte der Stadt Barth in der Zeit des Nationalsozialismus behandelt. Inhaltliche Schwerpunkte sind u. a. das KZ Barth, deren Häftlinge unter unvorstellbar schrecklichen Bedingungen Zwangsarbeit für die Heinkel Flugzeugwerke am hiesigen Fliegerhorst leisten mussten und das Kriegsgefangenenlager der Luftwaffe (STALAG Luft I), in dem insgesamt fast 10.000 alliierte Flieger gefangen gehalten wurden.

Die Ausstellung ist jeweils mittwochs und donnerstags von 10 – 14 Uhr geöffnet. Auf Anfrage können auch außerhalb der Öffnungszeiten Führungen durch die Ausstellung vereinbart werden.

Der Verein verfügt darüber hinaus über ein umfangreiches Archiv von Zeitzeugenberichten und anderen Dokumenten sowie Karten und Fotos.

Hier können Besucher auch Informationen zum Gedenk- und Lernpfad KZ-Außenlager Barth und zur Gedenkstätte STALAG Luft 1 in Barth erhalten.

Auf der Mitgliederversammlung wurde ein neuer Vorstand gewählt, nachdem die langjährige Vorsitzende, Frau Helga Radau, gesundheitsbedingt nicht mehr kandidierte. Auf Beschluss der Mitgliederversammlung wurde sie Ehrenvorsitzende des Vereins.

Zur neuen Vorsitzenden wurde Frau Christiane Schuldt gewählt und als ihr Stellvertreter Herr Hans-Jürgen Engelmann. Frau Elke Engelmann fungiert weiterhin als Kassenwartin und Herr Dieter Boedeker wird neuer Schriftführer. Frau Heike Riemer sowie Frau Gabriele Boedeker sind fortan Beisitzende.

Foto: J. Pilgrim