Nachruf auf Ignacy Golik

Wir trauern um Ignacy Golik, der am 31. August 2022 in seiner Heimatstadt Warschau im Alter von 100 Jahren verstarb. Leider erfuhren wir erst kurz vor Weihnachten von seinem Tod.

Ignacy Golik, ehemaliger Barther KZ-Häftling, kam am 19. Januar 1922 in Warschau zur Welt. Bereits als Schüler engagierte er sich nach dem deutschen Überfall auf Polen und der Besetzung Warschaus im polnischen Widerstand. Dort wurde er von den Deutschen im September 1939 zum ersten Mal verhaftet, konnte aber entkommen. Im Januar 1941 geriet er erneut in deutsche Gefangenschaft. Vom 01. Februar 1941 bis zum 28. Oktober 1944 war er Häftling in KZ Auschwitz, von Oktober bis November Häftling im KZ Sachsenhausen. Vom 11. November 1944 bis zum 29. April 1945 musste er als Häftling des KZ Barth in den Heinkel Flugzeugwerken Sklavenarbeit verrichten. Am 30. April 1945 trieb ihn die SS zusammen mit anderen KZ-Häftlingen auf einen „Todesmarsch“. Diese Tortur erschöpfte ihn total und er war dem Verhungern nahe, bevor ihn schließlich sowjetische Soldaten bei Rostock befreiten.

Später kehrte Ignacy Golik nach Warschau zurück, studierte Journalistik und arbeitete bis 1998 als Journalist bei verschiedenen Warschauer Zeitungen.  1964 war er Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess und half bei der Identifizierung von SS-Offizieren, die in Auschwitz eingesetzt waren.

Die Stadt Barth besuchte er mehrfach und berichtete als Zeitzeuge vor Schulklassen und anderen Gruppen über seine schrecklichen Erlebnisse. Alle Zuhörer waren von seinen detaillierten Schilderungen tief betroffen, aber auch sein ausgeprägter Sinn für Humor beeindruckte alle, die ihn kannten.

Oft wurde er gefragt, ob er die Deutschen hasse, worauf er antwortete, dass er zwar einzelne Menschen hassen könne, aber kein ganzes Volk. Viele seiner Mitgefangenen seien ja Deutsche gewesen.

Für sein unermüdliches Engagement gegen das Vergessen und für die Versöhnung erhielt er anlässlich seines 100sten Geburtstages, den er mit seiner Frau Eva, feierte, das Bundesverdienstkreuz.

Mit Ignacy Golik haben wir vermutlich den letzten Zeitzeugen verloren, der uns als Opfer des wohl schlimmsten Terrorstaates, den die Welt je erlebt hat, seine persönlichen Erfahrungen mitteilen konnte.

Kurzbericht Reichspogromnacht

Am 9. November gedachten Barther Bürgerinnen und Bürger der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland, die in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen vorläufigen Höhepunkt erfuhr. Waren beim morgendlichen Gedenken auf dem Barther Friedhof nur wenige dabei, war anschließend der große Saal im Bürgerhaus mit gut 200 Personen in Barth voll belegt. Viele Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen aus dem Barther Schulzentrum waren gekommen, um an einer Veranstaltung teilzunehmen, die die Klassen gemeinsam mit dem Förderverein Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e.V. vorbereitet hatten. In kurzen, sehr bewegenden Beiträgen verlasen Schülerinnen und Schüler Schicksale von Barther Juden während der Nazizeit, umrahmt von einer sehr anschaulichen Lichtbildpräsentation. Angesprochen wurden die Leiden der Familie Böhm, der Familie Sommerfeld, der Familie Brenner, der Familie Stern und der Familie Josephi. Sehr einfühlsam und passend war die musikalische Untermalung der Harfenistin Christine Hübner und des Pianisten Karsten Wolf. Unser besonderer Dank gilt Frau Küch und Herrn Pröschold sowie den Schülerinnen und Schülern, die an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung beteiligt waren.

Bericht: Dieter Boedeker

Die DOK im neuen Haus

Nach zweijähriger Corona bedingter Zwangspause konnte am 1. November 2022 endlich wieder eine Mitgliederversammlung des Fördervereins Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e.V. (DOK) in den Räumen des Bürgerhauses stattfinden.

Hier befindet sich in der 2. Etage inzwischen auch die sehr eindrucksvolle Ausstellung des Vereins, die die Geschichte der Stadt Barth in der Zeit des Nationalsozialismus behandelt. Inhaltliche Schwerpunkte sind u. a. das KZ Barth, deren Häftlinge unter unvorstellbar schrecklichen Bedingungen Zwangsarbeit für die Heinkel Flugzeugwerke am hiesigen Fliegerhorst leisten mussten und das Kriegsgefangenenlager der Luftwaffe (STALAG Luft I), in dem insgesamt fast 10.000 alliierte Flieger gefangen gehalten wurden.

Die Ausstellung ist jeweils mittwochs und donnerstags von 10 – 14 Uhr geöffnet. Auf Anfrage können auch außerhalb der Öffnungszeiten Führungen durch die Ausstellung vereinbart werden.

Der Verein verfügt darüber hinaus über ein umfangreiches Archiv von Zeitzeugenberichten und anderen Dokumenten sowie Karten und Fotos.

Hier können Besucher auch Informationen zum Gedenk- und Lernpfad KZ-Außenlager Barth und zur Gedenkstätte STALAG Luft 1 in Barth erhalten.

Auf der Mitgliederversammlung wurde ein neuer Vorstand gewählt, nachdem die langjährige Vorsitzende, Frau Helga Radau, gesundheitsbedingt nicht mehr kandidierte. Auf Beschluss der Mitgliederversammlung wurde sie Ehrenvorsitzende des Vereins.

Zur neuen Vorsitzenden wurde Frau Christiane Schuldt gewählt und als ihr Stellvertreter Herr Hans-Jürgen Engelmann. Frau Elke Engelmann fungiert weiterhin als Kassenwartin und Herr Dieter Boedeker wird neuer Schriftführer. Frau Heike Riemer sowie Frau Gabriele Boedeker sind fortan Beisitzende.

Foto: J. Pilgrim

Die Ausstellung „12 von 750 Jahren. Barth im Nationalsozialismus 1933 – 1945″

Im Stadtzentrum befindet sich eine Ausstellung, die sich mit der Geschichte der Stadt Barth in dieser Zeit beschäftigt. Sie wurde 2005, anlässlich der 750 Jahrfeier der Stadt Barth eröffnet. Dazu konnten wir ehemalige Häftlinge und Kriegsgefangene, deren Kinder und Enkel aus vielen europäischen Ländern, den USA, Kanada, Russland, Israel, der Ukraine begrüßen.

Das löste vielschichtige Reaktionen und Kommentare aus:
„Ist das nötig? Lasst doch die Geschichte endlich ruhen!“

„Muss man die Feiern zum 750. Jubiläum der Stadt mit dieser unrühmlichen Zeit belasten?“
 – „Es waren doch nur 12 Jahre von 750 Jahren!“

Ja es ist nötig ▬ ja man muss ▬ ja auch diese 12 Jahre gehören zur Geschichte dieser Stadt, der Boddenstadt, der Vineta-Stadt!

Auch in diesen 12 Jahren lebten in der Stadt Bäcker, Schuhmacher, Schmiede, Beamte, Lehrer, Krankenschwestern, Kohlenhändler, Fotografen, Ärzte, Hausfrauen, Pastoren, Arbeiter, Gärtner und…

In dieser Zeit gab es

  • das Kriegsgefangenenlager Barth/Vogelsang Stalag Luft I,
  • die Luftwaffen-Lehrdivision,
  • die Feld-Flakartillerie-Schule (Mitte) 11,
  • das Munitionswerk „Pommersche Industrie-Werke GmbH (PIW)„,
  • die Flugzeugwerke Ernst Heinkels, („Müller-Werk„) auf dem Fliegerhorst Barth,
  • das KZ-Außenlager Barth

In vier Räumen finden die Besucher Lebensläufe von Menschen, die in den Jahren 1933 bis 1945 in der Stadt Barth lebten oder auch leben mussten, einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Zeit, über das KZ-Außenlager Barth und das Kriegsgefangenenlager Stalag Luft 1.

Zusammen mit dem Besuch des Gedenk- und Lernpfades, des Mahnmals für das KZ Barth und des Gedenksteins für die Kriegsgefangenen des Stalag Luft 1 kann man sich so einen Überblick über die Geschehnisse anhand von Dokumenten, Zeitzeugenberichten und Bildern verschaffen.

Zum Mahnmal

1945 entstand eine kleine Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers.

56 Häftlinge, die dort tot im Lager zurückblieben bzw. gleich nach der Befreiung an den Folgen der Haft starben, wurden dort bestattet.

1955 bettete man die Toten in die August-Bebel-Straße im Stadtzentrum um, wo ein kleines Ehrenmal entstand.

1963 wurde ein Massengrab am westlichen Stadtrand auf dem Galgenberg geöffnet. Die dort gefundenen 113 Leichen, die 56 Toten vom Mahnmal in der August-Bebel-Straße sowie 11 auf dem Todesmarsch bei Rövershagen Umgekommene fanden hier eine würdige und angemessene Begräbnisstätte.

Am 8.Mai 1966 wurde das Mahnmal eingeweiht.

Überblick

Der Gedenk- und Lernpfad startet mit der ersten Stele direkt am Mahnmal des KZ-Außenlagers Barth und wird dann auf einem Pfad durch das ehemalige Gelände fortgeführt.

Die Stelen, die Sie auf dem Pfad vorfinden, können Sie in der folgenden Galerie betrachten.

Förderverein Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e.V.

Engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Barth und Umgebung gründeten im November 1998 den Förderverein Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e.V., dem derzeit 20 Mitglieder angehören.

Wir wollen Forschungs- und Bildungsarbeit zur regionalen Geschichte zwischen 1933 und 1945 leisten, initiieren, begleiten und unterstützen.

Zentrale Bezugspunkte unserer Arbeit sind einmal das KZ-Außenlager Barth und das Mahnmal für die Opfer, zum anderen das Gelände und die Gedenkstätte für das Kriegsgefangenlager Stalag Luft I.

Wir wollen Schicksale von verfolgten, verschleppten und getöteten Menschen erforschen und dokumentieren, Zeitzeugen befragen und Spuren der Vergangenheit sichern. Zeitzeugen sind auch die Bürger aus Barth und Umgebung. Die wohl selten anzutreffende Konzentration von Rüstungsindustrie, militärischer Ausbildung, Zwangsarbeit, KZ- und Kriegsgefangenenlager in einer Stadt während des Nationalsozialismus lässt noch viele Fragen offen.

Die Mitglieder des Vereins pflegen viele Kontakte zu Überlebenden des KZ Barth und des Stalag Luft I sowie zu deren Familien. Wir haben Konferenzen organisiert, sowie Treffen und Gespräche zwischen Zeitzeugen, Barther Bürgern, Schülern und Gästen der Stadt.

Zur Zeit denken wir an unsere Freunde, ehemalige KZ-Häftlinge und ihre Familien in der Ukraine und Russland. Wie furchtbar ist es, dass wieder Menschen im Krieg leben müssen, der dort von Wladimir Putin geführt wird. Genau das wollten wir alle nicht und mit unserer Arbeit auch verhindern.

Wir wollen unsere Forschungsergebnisse allen Interessierten vermitteln. Dazu möchten wir auch auf unsere Ausstellung „12 von 750 Jahren – Barth in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945“ aufmerksam machen. Gern können Sie sich über unsere Kontaktangaben mit uns in Verbindung setzen.