Ignaz Golik berichtete „Mein Aufenthalt in Barth ist für mich nur eine kleine Episode in meinem ganzen Martyrium von September 1939 bis Mai 1945.
Im September 1939 geriet ich als
Schüler in deutsche Kriegsgefangenschaft in Warschau. Es ist mir noch gelungen
in eine kleine Stadt Wegrow, östlich von Warschau zu flüchten. In Warschau
hatten die deutschen Behörden nach drei Monaten die Oberschulen geschlossen.
Nach einem halben Jahr wurden einige Schulen als Fachschulen wiedereröffnet.
Im Januar 1941 verhafteten mich,
meinen Bruder Peter, mein zweiter Bruder war damals im Stalag als
Kriegsgefangener, seine Frau Krystina und seine Schwiegermutter der deutsche
Sicherheitsdienst und Polizisten (Schupo). Wir wurden im Gefängnis Pawiak in
Warschau eingesperrt. Zwei Wochen später wurden mein Bruder und ich in einem
Transport mit 1700 Männern nach Auschwitz geschickt. Mein Bruder wurde im Juni
1941 im KZ Auschwitz ermordet.
Ich überlebte, weil ich ein
bisschen mehr deutsch konnte und einfach mehr Glück hatte.
Ich arbeitete in verschiedenen
Kommandos: als Straßenreiniger, in der Strumpfstopferei, in der Küche, als
Dachdecker, als Desinfizierer und im SS-Revier, d.h. in einem kleinen
Krankenhaus und Ambulatorium für die SS. Die schrecklichsten Kommandos waren
für mich die Arbeit in der Kiesgrube, beim Abbruch und beim Sprengkommando.
Im Oktober 1944 wurde ich nach
Oranienburg und nachher nach Sachsenhausen überstellt, von wo ich am 11.11.
nach Barth gebracht wurde.
Im KZ Barth war ich als Elektriker
bei Feinschlosserarbeiten beschäftigt. Weil ich gut die technischen Zeichnungen
lesen konnte, wurde ich von einem Meister beauftragt 12 kleine Wagen für die
Montage der Motoren der Düsenflugzeuge herzustellen. Die Arbeit verlangte eine
Genauigkeit von 0,2mm.
Obwohl die deutschen Zivilarbeiter,
hauptsächlich Meister, von der SS bevollmächtigt waren, die Häftlinge zu
schlagen und zu beschimpfen, passierte es selten, dass ein Meister in der
Halle, in der ich arbeitete, einen Häftling schlug. Sie schimpften aber sehr
oft und gern.
Die Bohrmaschinen, Niethämmerchen,
Meißel und andere Werkzeuge hatten elektrische oder pneumatische Antriebe. Oft
fehlte elektrischer Strom d.h. 380 V. Es gab zwar Lichtstrom, aber keinen
Kraftstrom.
Dann wurden von den Häftlingen mit
handwerklichen Methoden Feuerzeuge und Karbidlampen hergestellt. Die
Erzeugnisse waren für die Meister, die das alles verkauften. Die Halle, in der
ich arbeitete, war manchmal beheizt, jedoch nicht immer.
Die Männer arbeiteten Tag und Nacht
in zwei Schichten. Das Essen war meist eine Suppe, die wir Grammophonplatten
nannten, weil darin eine große Scheibe Steckrübe schwamm. Oft waren es auch
Blumenkohlstücke, wir wunderten uns, woher man die im Winter bekam.“
Ende April (29. oder 30.) 1945 trieb die SS alle gehfähigen Häftlinge
von Barth in Richtung Rostock. Etwa 15 km vor der Stadt erlebten sie ihre
Befreiung durch die Rote Armee.
Am 1. Mai 1945 ging der junge Mann durch das fast menschenleere,
zerbombte Rostock. Nach etwa 2 Wochen begab er sich mit anderen Kameraden zu
Fuß über Stralsund, Greifswald, Anklam nach Pasewalk, von wo sie mit einem
sowjetischen Güterzug bis nach Bydgoszcz (Bromberg) fuhren.
Nach Warschau zurückgekehrt meldete Ignaz sich sofort beim Militär zu
einem Lehrgang. Er holte das Abitur nach.
Eigentlich
wollte er an eine Technische Hochschule gehen und Elektroingenieur werden.
„Die
ganze Mathematik hatte ich vollkommen vergessen.“ Aber mit den mangelnden
mathematischen Kenntnissen machte das keinen Sinn. So studierte er Journalistik
und Politikwissenschaften „Es kursierte damals das Sprichwort in Polen, ein
Journalist
ist jemand, der nichts weiß, aber
alles erklären kann‘. Also bin ich Journalist geworden“, sagte er selbstironisch.
Ein Bekannter aus Auschwitz
besuchte ihn einige Jahre darauf in Warschau. Dieser ist auf der Suche nach
Zeugen, die im Auschwitz-Prozess aussagen können. Der Frankfurter
Oberstaatsanwalt Fritz Bauer hat Langbein, der selber aussagen wird, darum
gebeten. Aber Ignaz Golik will nicht. „Ich wollte das einfach nur vergessen.“
Selbst den Kollegen bei der Zeitung hatte er nicht erzählt, dass er in
Auschwitz war. Doch nach einer Stunde hat Langbein seinen früheren Mithäftling überzeugt.
Also reist er Anfang der 60er
Jahre nach Frankfurt, daran kann er sich noch gut erinnern. Fritz Bauer und
zwei junge Kollegen zeigten ihm zwei Tage lang Bilder von SS-Leuten aus
Auschwitz. Er sollte die Bilder auf drei Stapel verteilen. Gesichter, die er
nicht kennt, Gesichter, die er wiedererkennt und Personen, zu denen er auch
etwas sagen kann. Auf dem letztgenannten Haufen landeten 50 Bilder. Ignaz Golik
sagte in der Folge noch ein paarmal in ähnlichen Prozessen aus, auch in Polen,
wo die Bestrafungen drastischer waren.
Zum Erinnern trägt der
97-Jährige auch jetzt noch selbst bei. So ist er auch heute noch einer von noch
sechs Zeitzeugen, die für das Bistum Mainz tätig sind. Die Organisatoren
bemühen sich jährlich um mehrere Treffen mit Schülern.
Mit seiner Frau Ewa lebt er in
Warschau. Sie haben zwei Söhne. Er war mehrfach in Barth zu Besuch, nahm an
Gesprächen mit Schülern teil. Ein Interview wurde aufgezeichnet. Es gibt bis
jetzt einen sehr persönlichen telefonischen Kontakt zu ihm.