Barth war nicht nur die Stadt des Fliegerhorstes, des Kriegsgefangenenlagers
Stalag Luft I und des KZ-Außenlagers Ravensbrück. In Barth wurde auch der
„Volksjäger“ He 162 produziert – ein kleines Düsenjagdflugzeug.
Barth.
Der
mecklenburgisch-vorpommersche Raum erlebte im Zuge der intensiven
Kriegsvorbereitung der Nazis einen großen Aufschwung in der industriellen
Produktion. Die Flugzeugindustrie expandierte auch im Krieg kräftig und neue
Produktionsstätten der Firmen Heinkel, Arado und Dornier prägten ebenso das
Bild wie Dutzende Betriebe der Zulieferindustrie. Auch die kleine Stadt
Barth wurde von diesem Entwicklungsschub erreicht.
Aber Flugzeuge
aus Barth, und dann noch von Heinkel? Wenig weiß man heute davon. Vor mehr
als 60 Jahren entstanden hier sogar Düsenjäger, die zu den letzten modernen
Waffen des Dritten Reiches zählten. Sie wurden in einem KZ-Betrieb
produziert.
Barth im Dritten
Reich – das war für Tausende ein Ort des Leidens, ein Ort der Opfer und
somit auch ein Ort der Täter. Ab Spätherbst 1943 zog ein Außenlager des KZ
Ravensbrück in abgesonderte Kasernen auf dem Gelände des Fliegerhorstes.
Frauen und Männer arbeiteten unter SS-Bewachung für den Heinkel-Konzern, der
bis Kriegsende einen Verlagerungsbetrieb des Rostocker Stammwerkes unter der
Bezeichnung „Müller-Werk“ in den Hangars unterhielt. |

Die Barther
Produktionsstätte der Firma Heinkel.
Foto: Verein |
Die Häftlinge
wurden gezwungen, Kriegsmaterial für die Nazis zu produzieren. Ernst Heinkel
hatte gute Erfahrungen mit KZ-Häftlingen in seinem Betrieb in Oranienburg
gemacht und versuchte, dies auch auf die Produktion in Barth zu übertragen.
Das letzte Muster seines Konstruktionsbüros war der Düsenjäger He 162, der
geheimnisvolle „Volksjäger“, der in den Hallen des ehemaligen Fliegerhorstes
bis Kriegsende montiert worden ist. In den letzten Monaten des Zweiten
Weltkrieges verstärkte sich der Luftkrieg über Deutschland. Dutzende Städte
versanken in Schutt und Asche. Die deutsche Luftwaffe konnte den englischen
und amerikanischen Flugzeugen immer weniger widerstehen. In dieser Situation
gelang es der deutschen Seite, erste Düsenflugzeuge einzusetzen.
Technologisch war den Deutschen ein Durchbruch bei der Entwicklung von
Hochgeschwindigkeitsflugzeugen gelungen, auf dem viele Entwicklungen
militärischer und ziviler Technik bis heute beruhen. Zunächst erschienen die
zweistrahligen Messerschmitt Me 262 als Bomber und Jäger, dann einige wenige
Arado Ar 234, ebenfalls als zweistrahlige Bomben- und Aufklärungsflugzeuge.
Buchstäblich in den letzten Wochen vor Kriegsende startete das kleine
einstrahlige Jagdflugzeug Heinkel He 162. Den Kriegsausgang konnten diese
ersten einsatzreifen Düsenmaschinen nicht beeinflussen. |
Der Heinkel-Jäger
war in kurzer Zeit entworfen worden, basierte auf einer einfachen
Konstruktion und wirkte sogar mit dem auf dem Rumpf befestigten Triebwerk
noch elegant. Für die Projektentwicklung, die Erprobung, die Produktion und
den Einsatz jenes Jagdflugzeuges spielten Betriebe und Einrichtungen eine
entscheidende Rolle, die auf dem Gebiet des heutigen Landes
Mecklenburg-Vorpommern gelegen waren oder hier ihren Ursprung hatten.
Seit Ende 1944
wurde das Barther Werk für die Produktion des Düsenjägers Heinkel He 162
vorbereitet. Das kleine Flugzeug war der letzte Typ, der bei Heinkel in
Serie ging. In Barth wurden einzelne Komponenten gefertigt, aber auch
komplette Flugzeuge He 162 zusammengebaut, die dann nach Rostock und zu
einigen wenigen Luftwaffenflugplätzen überflogen worden sind.
Ernst (Ari)
Fleischer, ein ehemaliger KZ-Häftling, der heute in Israel lebt, berichtete
dazu: „Ab Weihnachten 1944 arbeiteten wir an einem neuen Typ, der uns nicht
erläutert worden ist. Heute weiß ich, dass es ein moderner Düsenjäger
gewesen war. Zunächst war ich in Halle 8, dann in 6 und der Ostgarage als
Schlosser bzw. Einrichter eingesetzt.“ Trotz der grundsätzlich neuen
Technologie und des großen Materialmangels gelang es, komplette Düsenjäger
zu bauen und sie einzufliegen. So schrieb der kriegsgefangene
US-Oberleutnant George L. Vogler, der im Stalag Luft 1 Barth gefangen war,
in seinem Tagebuch unter dem Datum 19. April 1945: „Ich sah einen
einstrahligen Düsenjet wie verrückt herumfliegen. Er landete auf dem
Flugplatz.“
Im Rostocker Werk
und in Barth wurden insgesamt bis Kriegsende mindestens 55 He 162 und damit
fast die Hälfte der deutschen Gesamtproduktion gebaut. Nahezu alle wurden
noch von der Luftwaffe übernommen.
Dieses Flugzeug
hatte seinen Preis, rechnerisch und moralisch. Die Produktion erfolgte an
mehreren Standorten unter hohem materiellen und logistischen Aufwand.
Tausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen verloren für die He 162
wenige Wochen vor dem Kriegsende ihr Leben.
M.
ALBRECHT |
Hintergrund
Unter Verantwortung von Helga Radau
(Barth) und Dr. Martin Albrecht (Berlin) präsentiert der Förderverein
Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth am 20. Mai um 9.30 Uhr im
Bibelzentrum Barth den ersten Teil der Wanderausstellung „Der ’Volksjäger’
Heinkel 162 im Jahr 1945 – Stationen der Hochtechnologie und Zwangsarbeit im
heutigen Mecklenburg-Vorpommern“.
Seit Vereinsgründung im Jahre 1998
wollen die Mitglieder des Fördervereins nicht nur historische Sach- und
Bauzeugnisse aus der Nazizeit sammeln, ordnen und werten, sondern dies alles
vor allem für die junge Generation erhalten. Dr. Wagner: „Wir Nachgeborenen
sind nicht verantwortlich dafür, was zwischen 1933 und 1945 geschah, aber
wir sind schon dafür verantwortlich, dass es niemals wieder passiert.“ |